Kirche und Bildung in Neuruppin - den Kontrapunkt setzte die Aufklärung


Im Januar 2005 feierte das Karl-Friedrich-Schinkel-Gymnasium der Fontanestadt Neuruppin sein 640-jähriges Jubiläum. Die Bildungseinrichtung berief sich dabei auf eine Lateinschule, die 1365 erstmalig Erwähnung fand. Wohlhabende Bürger hatten gemeinsam mit der städtischen Kirche die Grundlage für eine solche Schule gelegt.
Auch die Mönche des 1246 gegründeten Dominikanerklosters nahmen vielfältige Aufgaben zur Stabilisierung der weltlichen Macht wahr: Sie verbreiteten die christliche Lehre, informierten die Bürger über Geschehnisse außerhalb der Stadtmauern sowie über Festlegungen der weltlichen und kirchlichen Landesherren. Zum Selbstverständnis der Mönche gehörte es aber auch, den Kindern so etwas wie Schulbildung zu vermitteln, allerdings nicht vergleichbar mit dem, was wir darunter verstehen.
Vom Kloster blieb nur die große Kirche übrig. Doch Kirche und Bildung waren über die Jahrhunderte in Neuruppin, wie anderswo in der Mark Brandenburg auch, eng miteinander verknüpft. In Neuruppin wurde allerdings Ende des 18. Jahrhunderts – unter den Vorzeichen der Aufklärung – eine Entscheidung getroffen, die noch heute bei Städteplanern Erstaunen hervorruft.
Eine der Quellen für die Bildung im mittelalterlichen Neuruppin finden wir am Ufer des Ruppiner Sees. Auf dem Martin-Niemöller-Platz befindet sich die Klosterkirche St. Trinitatis. Mit ihren Doppeltürmen wurde sie zum Wahrzeichen der Stadt. Allerdings erhielt die Kirche die Türme erst 1906/07.
Hier hatte Prior Wichmann von Arnstein (1185 – 1270) mit der finanziellen Unterstützung seines Bruders, Graf Gebhard von Arnstein (1180 – 1256), ein Dominikanerkloster errichtet. Es war in der Mark Brandenburg das erste Kloster des 1216 in Frankreich gegründeten Ordens. Die Bettelmönche besaßen eine gute theologische Ausbildung. Zu ihren Zielen gehörte es, das Evangelium zu verbreiten.
Pater Wichmann, wie er genannt wurde, erwarb sich bei den Bürgern Neuruppins großes Ansehen. Er besaß eine umfangreiche Bildung und persönliche Ausstrahlungskraft. Er schätzte die Erfahrungen und Kenntnisse der einfachen Leute. Wichmann sammelte das Wissen der Kräuterfrauen, schrieb es auf und nutzte es für die Behandlung der Bürger durch die Apotheke des Klosters. So wurde der Pater zu einer Legende, die noch heute fortlebt. Die Erhaltung der an der Klosterkirche stehenden 700 Jahre alten „Wichmannlinde“ ist nur ein Beispiel dafür.
Im Kloster wurden aber auch die traditionellen Wissenschaften gepflegt. Von 1284 bis 1288 konnte man in Neuruppin sogar Philosophie (die Liebe zur Weisheit), Theologie und die Künste studieren. Brigitte Meier, Autorin einer lesenswerten Kulturgeschichte Neuruppins, verweist darauf, dass das Kloster am Ruppiner See den Vergleich mit den großen Klöstern in Lübeck, Stralsund und Rostock nicht scheuen musste.
Die Größe der Klosterkirche zeigt die Verknüpfung von christlicher und weltlicher Macht: Die von Alt Ruppin aus regierenden Grafen waren an einem repräsentativen Kirchenbau interessiert.
Am Kirchplatz befand sich seit dem 13. Jahrhundert die Pfarrkirche St. Marien, eine fünfschiffige gotische Hallenkirche, und die Lateinschule. Die Zuständigkeit für die Schule – als kommunale Einrichtung – lag beim städtischen Pfarrer und dem Landesherren.
Der Streit um die Reformation spiegelte sich natürlich auch an den Schulen der Stadt Neuruppin wider. So bezeichnete Lehrer Michael Walsleve 1517 die Ansichten Luthers als Irrglauben, sein Nachfolger Ambrosius Martin unterstützte 1528 leidenschaftlich die Kritik Luthers am Ablasshandel. Brigitte Meier schreibt: „Es waren eben Männer der Kirche, die die Inhalte des städtischen Schulwesens bestimmten.“
Als Kurfürst Joachim II. 1539 offiziell zum lutherischen Glauben übertrat, erhielt die Bildung in der Mark einen neuen Stellenwert. Lesen, Schreiben und Rechnen ergänzten nun die kirchlichen Inhalte. Das katholisch orientierte Dominikanerkloster löste sich auf.
Neuruppins Bürgermeister Caspar Witte als weltlicher Repräsentant und Andreas Böttcher als geistlicher Inspektor veranlassten 1579 gemeinsam, dass Neuruppin am Kirchplatz eine neue Schule erhielt. Parallel dazu gab es Elementarschulen und natürlich auch private Bildungsangebote, wie Hauslehrer, die alle vom kirchlichen Inspektor, später dem Superintendenten kontrolliert wurden.
1585 bekam die Kirche St. Marien eine Bibliothek.
Schließlich gründete der Handwerksgeselle Bernhard Kühn im Zuge der bürgerlichen Aufklärung 1772 in Neuruppin eine Leihbibliothek. Bernhard Kühn und sein Sohn Gustav Kühn gingen als Produzenten der berühmten Neuruppiner Bilderbogen in die Geschichte ein.
Im gleichen Jahrzehnt machte in Dessau ein Mann namens Johannes Bernhard Basedow von sich reden. Sein pädagogisches Konzept nahm auch die Ideen der Aufklärung auf. So führte er unter anderem die Vorschulerziehung ein. Nach diesem Vorbild wurde nun auch in Neuruppin die Lateinschule erneuert.
Am 26. August 1787 stand Neuruppin in Flammen: Zwei Kirchen, das Rathaus, 415 Bürgerhäuser und die Stadtschule zerstörte die Feuersbrunst. Mehr als 4.000 Menschen verloren das Dach über dem Kopf.
Doch bereits ein Jahr später begann der Wiederaufbau Neuruppins nach einem einheitlichen Plan. Die Finanzierung erfolgte zum großen Teil aus der Staatskasse.
Es entstand eine moderne Stadtanlage mit drei großen Plätzen, breiten Straßen – so wie sie heute noch erhalten ist und wie sie von ihrer Gesamtstruktur einmalig ist.
Am 24. November 1792 wurde das neue Schulgebäude eingeweiht, es glich einer dreiflügligen Schlossanlage. Doch das Besondere war der Standort der Schule: sie stand auf dem mittleren der drei großen Plätze. Das war der Ort, der historisch einem Kirchenbau zukam. In keiner anderen Stadt gab es eine vergleichbare Lösung. Im Türmchen der Schule befand sich eine Glocke, die, wie in anderen Städten die Kirchen-glocke, des Tages Stunde bestimmte.
„Civibus aevi futuri – den Bürgern des künftigen Zeitalters“, prangt es in goldenen Lettern über dem Portal. Was soviel heißen sollte, wie: „Schaut her, das hier ist kein Zufall, das haben wir bewusst so gemacht!“
„Habe den Mut, dich deines Verstandes zu bedienen“, hatte der Philosoph Immanuel Kant (1724-1804) die Aufklärung definiert. Die Bauherren des neuen Neuruppin hatten den Mut, als Symbol für den Stellenwert der Bildung das Schulhaus in die Mitte der Stadt zu stellen.

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